Chef & Coach gleichzeitig - geht das?


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Die Ansprüche an Management und Kader haben sich weitreichend verändert, neue Skills sind gefragt welche noch in den 80er-Jahren teilweise belächelt wurden. Und vermehrt hört man von Führungskräften, dass Sie auch als Coach für Ihre Mitarbeitenden da sind. Aber wie glaubwürdig sind Chefs, welche sich auch als Coaches "sehen"?   

Sowohl die Erwartungen von Mitarbeitenden an Ihre Vorgesetzten als auch die Ansprüche agiler Organisationen an ihre Führungskräfte haben sich stark gewandelt gegenüber dem "old school"-Ansatz "Comand & Control". Gerade während der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie hilflos Micro-Manager agieren, wenn sie ihren Drang nach Kontrolle nicht mehr befriedigen können. Und wir lernten endgültig, dass betriebswirtschaftlich andere Führungs-Syteme weitaus mehr Sinn machen als der ineffiziente Linien-Gehorsam. Motivieren statt Anweisen, Entwickeln statt Korrigieren, Befähigen statt Kontrollieren....Ist Coaching somit das Zauberwort der modernen Führung?

Eher weniger, denn es gibt in der Regel einen starken Rollen-Konflikt, wenn ein Chef versucht auch die Rolle eines Coaches einzunehmen. Trotzdem kann Coaching auch in einem klassischen Chef/Mitarbeiter-Verhältnis gelingen. Bedingung dazu ist vor allem gegenseitiges Vertrauen, der bewusste Wechsel des Chefs in die Rolle als Coach (in anderen Worten: er muss für die Dauer des Coachings seine Rolle als Chef "verlassen") und vor allem auch die nötigen Skills, die einen Coach erst zu einem nutzenstiftenden Begleiter machen.

Rollenkonflikt zwischen Chef und Coach

Coaching durch Vorgesetzte sollte dabei immer im Kontext der Personalentwicklung stattfinden:

Die Mitarbeitenden fördern, sie ihre Stärken, Prägungen und Potentiale erkennen (lassen), den Einsatz der verfügbaren Ressourcen unterstützen, die Motivation steigern und vor allem: gezielt konkrete Handlungsfelder und Massnahmen erarbeiten lassen (vom Mitarbeiter).

Leider haben viele Führungskräfte eine wenig hilfreiche Vorstellung, was Coaching ist: Statt den Mitarbeiter methodisch gestützt und systemisch auf seinem eigenen Weg der Lösungsentwicklung zu begleiten wird häufig Coaching mit Beratung verwechselt. Es werden Vorschläge gemacht, Handlungen empfohlen....mit Coaching hat das wenig bis gar nichts zu tun, und es nützt dem Mitarbeiter entsprechend wenig.

Aber warum ist Coaching für die Führungskraft überhaupt erstrebenswert?

Coaching kann als Führungsinstrument im Zusammenhang mit einem kooperativen Führungsstil hilfreich sein. Die Führungskraft kennt die internen Abläufe und kann sich schnell auf das eigentliche Thema des Mitarbeitenden als Coachee konzentrieren. Damit kann Coaching durch den Vorgesetzten als Erweiterung des Führungsrepertoires betrachtet werden. Es bedingt jedoch die Hinterfragung eigener Werte und Überzeugungen sowie die Entwicklung sozialer Kompetenzen. Wenn das gelingt, profitiert die Führungskraft von dieser Fähigkeit auch in anderen Situationen.

Weitere Vorteile für die coachende Führungskraft können sein:

  • Festigung des Vertrauensverhältnisses zum Mitarbeitenden
  • Möglichkeit einer besseren Evaluierung der Zielerreichung, da eine bessere Beobachtung des Entwicklungsprozesses möglich ist
  • Förderung der Reflexionsfähigkeit auch auf Seiten des Vorgesetzten.

Chancen für den Mitarbeitenden

Mitarbeitende profitieren als Coachee durch Individualität der Betreuung sowie die Beziehungsintensität, wenn der Vorgesetzte sie coacht. Dies kann zu gesteigerter Motivation und damit zu verbesserten Arbeitsergebnissen führen. Mitarbeitende, die ein Coaching durch den Vorgesetzten als persönliche Entwicklungschance sehen, können es auch für die Realisierung von nicht-beruflichen Zielsetzungen nutzen. Wenn das Verhältnis zwischen Chef und Mitarbeitendem vertrauenswürdig ist, das Coaching freiwillig stattfindet und beide sich in ihrer Rolle akzeptieren, entstehen beim Mitarbeitenden häufig Sicherheit und Motivation.

Grenzen für die Führungskraft

Coachende Vorgesetzte können Situationen mit (zu coachenden) Mitarbeitenden nur schwer trennen. Es stellt sich immer die Frage, in welchem Kontext eine Begegnung mit dem Mitarbeitenden stattfindet. Dies kann schwierige Situationen auslösen. Coachings zeichnen sich aus durch eine systemische, ganzheitliche Betrachtung. Dies bedeutet, dass der Coach auch in die Privatsphäre des Coachees eindringt. Die Thematisierung von persönlichen, privaten Informationen durch Vorgesetzte ist jedoch ethisch problematisch und kann zu moralischen Konflikten führen. Ein länger dauernder Coaching-Prozess könnte eine gewisse Unselbstständigkeit auf Seiten des Mitarbeitenden erzeugen. Der Prozess wird zum «ewigen Coaching», welcher es nicht schafft, den Coachee ins selbstständige Handeln zu bringen. Die Folge kann ein erhöhter Führungsaufwand sein, der die Idee eines Coachings hintertreiben würde. Problematisch kann auch die Tatsache sein, dass der Vorgesetzte in die Abläufe im Unternehmen direkt involviert und auch kulturell Teil der Organisation ist. Er kann somit die Situation des Coachees nur schwer neutral und sachlich beurteilen.

Ein weiterer kritischerer Punkt ist die Tatsache, dass Führungskräfte zeitlich stark belastet sind. Wollen sie auch noch ein Coaching anbieten, müssen sie hierfür Zeitfenster schaffen. Dies ist aber entweder nicht realistisch, oder es ist nur möglich, wenn sie andere Aufgaben vernachlässigen. Häufig werden dann Mitarbeitergespräche mit Coaching-Gesprächen zusammengelegt. Damit ist ein Rollenkonflikt vorprogrammiert. Schliesslich ergibt sich für die coachende Führungskraft ein Reputationsrisiko, sollte das Coaching eines Mitarbeitenden nicht zum gewünschten Erfolg führen. Dies kann in der Konsequenz zu einer dauerhaft negativen Bewertung der Führungskraft führen.

Grenzen für den Mitarbeitenden

Primäres Risiko ist das Abhängigkeitsverhältnis, in dem sich der Coachee befindet. Es besteht ein latenter Druck, ein Angebot für ein Coaching durch den Vorgesetzten anzunehmen bzw. das Coaching um jeden Preis zu Ende zu führen. Es entfällt also das Prinzip der Freiwilligkeit, das für das Gelingen eines Coachings so wichtig ist. Auch sind Vertrauen und Diskretion mit einem externen Coach einfacher zu realisieren. Der Vorgesetzte kann sich je nach Konstellation in einem Interessenkonflikt sehen. So könnten vertrauliche Informationen an andere Stellen wie z.B. die Personalabteilung gelangen. Damit wird klar, dass Mitarbeitende, die durch ihren Vorgesetzten gecoacht werden, sich eher überlegen, welche Informationen sie offenlegen, als wenn sie extern gecoacht würden. Schliesslich kann der Mitarbeitende es als problematisch empfinden, wenn unternehmensintern offenbar wird, dass er (intern) gecoacht wird. Externe Begleitung ist immer diskreter durchführbar.

Ein Coaching ist normalerweise beendet, wenn der Coachee seine Ziele erreicht hat. Wenn nun aber der Vorgesetzte coacht, besteht das Risiko, dass er organisationale oder gar persönliche Ziele mittels des Coachings umzusetzen versucht und damit den Coaching-Prozess zweckentfremdet. Das gilt genauso für die Bewertung des Coachings. Ein weiteres Risiko stellt das oft fehlende Coaching-Wissen bei der Führungskraft dar. Vorgesetzte, die sich trotz fehlenden Coaching-Skills als Coaches betätigen, agieren unprofessionell.

Fazit

Coaching durch die Führungskraft ist grundsätzlich möglich, auf Grund des Rollenkonfliktes gibt es jedoch Grenzen. Coaching und Führung als Konzepte sind nicht deckungsgleich. Sie lassen sich verbinden, aber niemals austauschen. Ob der Vorgesetzte einen Mitarbeitenden coachen sollte, ist eine schwierige Entscheidung und kann nur durch Coach und Coachee gemeinsam entschieden werden. Vorgesetzte müssen sich der Chancen und Risiken bewusst werden, und die Entscheidung, einen Mitarbeitenden zu coachen, verlangt Führungskräften viel ab in Bezug auf Selbststeuerung und Augenmass. Wer seine Mitarbeitenden persönlich und beruflich weiterbringen möchte, lässt dem externen Coach manchmal besser den Vorzug.